Sinnesstörungen beim Riechen und Schmecken sind beileibe nichts Neues, doch seit sie auch als mögliches Indiz für eine Covid-19-Erkrankung gelten, geht vermehrt die Angst um. Aber wie entsteht eigentlich so eine „Schmeckstörung“?
Kürzlich bat mich ein junger Mann eindringlich um einen Termin in meiner Praxis, und ich hatte fest vor, ihn zu vertrösten, weil ich gerade in der Woche besonders viel um die Ohren hatte. Doch Roland* (27) wirkte so aufgewühlt am Telefon, dass ich mich darauf einließ.
Seine Geschmacksnerven würden seit Tagen total verrückt spielen, berichtete er, und dass seine Lieblingsschokolade – Vollmilch-Nuss – seit Neuestem nicht mehr süß, sondern bitter schmecke. „Geradezu ekelhaft, schlimmer als bittere Schokolade“, präzisierte er, „und mir morgens mein geliebtes Müsli zu machen traue ich mich schon gar nicht mehr: Es schmeckt irgendwie metallisch.“ Er habe sich natürlich gleich testen lassen, und nein, er sei nicht mit Sars-CoV-2 infiziert, fügte er schnell noch hinzu.
Er hatte zunächst vermutet, bei seiner Geschmacksirritation handle es sich um ein Anzeichen für Covid 19, aber ich wollte erst mal einen anderen Verdacht ausräumen: Ob er denn aktuell ein Antibiotikum nehme, fragte ich nach, und tatsächlich bejahte er dies. Zwar kann seine Schmeckstörung auch andere Ursachen haben, aber Antibiotika, besonders Clarithromycin, sind bekannt für ihre Nebenwirkung, Speisen bitter schmecken zu lassen.
Antibiotika und seine Folgen
Auch meine Frage nach Durchfall bejahte er. Dass hier ein Zusammenhang mit der Antibiotikagabe bestehen würde, lag nahe. Ohne ihn überhaupt gesehen zu haben, riet ich ihm daher dringend, sich in der Apotheke das Multispezies-Probiotikum OMNi-BiOTiC® 10 zu besorgen und beschrieb ihm, wie er es – parallel zum Antibiotikum – einzunehmen habe. Wenn Sie diesen Blog schon länger verfolgen, können Sie sich denken, warum ich kategorisch dieses Präparat verschreibe, wenn Patient*innen einem Antibiotikum ausgesetzt sind – ganz egal, welchem:
OMNi-BiOTiC® 10 gilt als DAS Probiotikum, wenn es darum geht, die unerwünschten Folgen eines Antibiotikums (nämlich „Tabula rasa“ mit sämtlichen, auch den guten Darmbakterien zu machen), effektiv abzupuffern und jene Bakterienstämme, die für eine gesunde, ausbalancierte Mikrobiota sorgen, wieder anzusiedeln. Wie entscheidend es ist, die nützlichen Darmbakterien zu unterstützen, habe ich u. A. hier beschrieben:
Roland war überrascht, beteuerte aber, meinem Rat folgen zu wollen.
Natürlich hab’ ich mich erst mal über „Schmeckstörungen“ schlau gemacht, nachdem er aufgelegt hatte, und fand als erstes heraus, dass sie wesentlich seltener auftreten als eine Riechstörung, die allein in Deutschland pro Jahr knapp 80.000 Betroffene für eine Therapie in die HNO-Kliniken treibt. Interessant, bisher hatte ich „Geschmacksverirrungen“ fast ausschließlich als ästhetisches Problem definiert …
Am häufigsten wird über eine veränderte Wahrnehmung bestimmter Geschmacksrichtungen geklagt. Das Phänomen, das Roland so erschreckt hatte, nämlich bestimmte Speisen von einem auf den anderen Tag als bitter oder metallisch zu empfinden, ist offenbar gar nicht so selten.
Ursachen einer Schmeckstörungen
Aber was passiert eigentlich im Körper, damit wir einen Geschmack von anderen unterscheiden können? Da, wo der Geschmacksauslöser in ein Nervenzellsignal umgewandelt wird (das passiert in der Hauptsache auf der Zungenschleimhaut, aber selbst im Rachen, im Nasenraum, ja sogar in der oberen Speiseröhre gibt es „geschmackserkennende“ Zellen), befinden sich zahlreiche Erhebungen, die Warzen nicht unähnlich sind: unsere Geschmackspapillen. Diese enthalten viele Sinneszellen, die mit anderen Zellen wiederum eine Knospe bilden – so setzen sich unsere Geschmacksknospen zusammen, … die sich übrigens wöchentlich erneuern!
Auf Grundlage der Nervenbotenstoffe, die von den Sinneszellen nach einer entsprechenden Reizung ausgeschüttet werden, erhält das Gehirn die Information für eine bestimmte Geschmackswahrnehmung. Das erklärt auch, dass von einem Schädel-Hirntrauma Betroffene häufig von einem kompletten Geschmacksverlust betroffen sind.
Es liegt mir auf der Zunge, doch der Reihe nach …
Grob unterscheidet man zwischen quantitativen und qualitativen Schmeckstörungen. Medizinisch handelt es sich bei einer Dysgeusie genannten Schmeckstörung um eine pathologische Veränderung des Geschmackssinns.
Zu den quantitativen zählen eine besondere Empfindlichkeit gegenüber Geschmacksreizen wie zum Beispiel gegen Pfeffer (Hypergeusie), eine Herabsetzung des Geschmacksempfindens (wenn also alles fade schmeckt = Hypogeusie), die Partielle Ageusie, bei der nur einzelne Geschmacksqualitäten betroffen sind und z. B. sauer nicht länger als sauer wahrgenommen wird, sowie die Totale Ageusie – wenn weder süß noch sauer, salzig oder bitter mehr von den Betroffenen geschmeckt bzw. unterschieden werden kann und alles gleich schmeckt.
Das mag manchen Zeitgenossen – besonders jenen, die unter einer schweren Krankheit leiden – vielleicht „sauer aufstoßen“, weil es ihnen wie eine Lappalie vorkommt, aber für die Betroffenen ist es ein gravierender Einschnitt in ihr bisheriges Koordinatensystem.
Bei den qualitativen Schmeckstörungen hingegen, die zahlenmäßig überwiegen, besteht zumindest die Hoffnung, dass es ein vorübergehendes Phänomen bleibt, weil es in der Regel nach spätestens zehn Monaten von allein wieder verschwindet.
Hier werden eigentlich süße Speisen plötzlich als bitter, sauer oder metallisch empfunden. Eine Einschränkung der Lebensqualität ist dies allemal! Bei einem weiteren Vertreter der qualitativen Schmeckstörungen treten bestimmte Geschmackssensationen auf, ohne dass ein Reiz vorliegt. Man schmeckt etwas, das an ein Lebensmittel erinnert, obwohl man es gar nicht im Mund hat – die Phantasie spielt den Betroffenen also Streiche! Das Vertrackte: Häufig treten quantitative und qualitative Schmeckstörungen in Kombination auf …
Doch wie kommt es überhaupt zu diesem Phänomen, das meinen jungen Patienten so in den Wahnsinn treibt? Offenbar gibt es viele mögliche Ursachen für Schmeckstörungen.
Die häufigsten Phänomene
Wenn’s ganz bitter wird, liegt dies oft an der Einnahme von Medikamenten. Andere mögliche Ursachen sind Entzündungen im Mundraum, andere Zahnfleischerkrankungen oder schlicht eine unzureichende Mundhygiene. Es könnte aber auch einePilzinfektion, Zinkmangel oderein Reflux die Ursache sein.
Wenn alles salzig schmeckt, deutet dies auf eine pH-Wert-Verschiebung des Körpers hin, d. h. der Säure-Basen-Haushalt ist nicht in Ordnung. Hier könnte eine Dehydrierung des Körpers vorliegen, ob durch unzureichenden Wasserkonsum oder Flüssigkeitsverlust wie etwa bei starkem Durchfall. Aber auch Vitaminmangelkann einen salzigen Geschmack verursachen, ebenso wie bestimmte Medikamente. Nicht zuletzt kann es ein Hinweis auf eine gestörte Funktion der Speicheldrüsen sein.
Auch eine Anämie, die besonders im Alter häufiger auftritt, kann sich übrigens mit einem salzigen Geschmack bemerkbar machen. Nun trinken ältere Menschen bekanntlich (zu) wenig, da wird der salzige Geschmack schnell auf „Wassermangel“ geschoben, aber es kann genauso gut ein Eisen- oder Vitamin-B12-Mangel dahinterstecken! Das lässt sich durch eine Blutuntersuchung schnell klären!
Wenn nur noch Süßes wahrgenommen wird: Gerade im Alter lässt die Geschmackswahrnehmung insgesamt stark nach. In dem Fall leiden darunter alle Geschmacksrezeptoren – bis auf jene, die für Süßes empfänglich sind. Dies erklärt, warum Betroffene plötzlich von einer ausgeprägten Süßwahrnehmung berichten.
Und kommen Sie mir jetzt bitte nicht mit umami! Diese „fünfte Geschmacksdimension“, die weder süß noch salzig, sauer oder bitter umfasst, ist nämlich noch nicht so richtig in der Geschmacksforschung angekommen. Der japanische Begriff „umami“ bedeutet so viel wie „köstlich“ und „würzig“ – kein Wunder, dass die Wissenschaft solchen eher subjektiv empfundenen Geschmackssensationen bisher nur zögerlich begegnet …
Geschmacksstörungen, ursächlich betrachtet
Zur groben Kategorisierung wird zwischen epithelialen, nervalen und zentralen Ursachen differenziert.
Unter epithelial versteht maneine Schädigung der Geschmacksorgane, also der Geschmackspapillen und Geschmacksknospen – sei es durch Medikamente (Penicillin, ACE-Hemmer, Zytostatika etc.), Bestrahlung, eine Entzündung der Zunge, eine Schilddrüsenunterfunktion oder Vitamin-B12-Mangel.
Bei den nervalen Ursachen geht man von einer Schädigung der Nervenfasern aus, die für die Signalübermittlung von den Geschmacksorganen zu bestimmten Arealen in unserem Gehirn verantwortlich sind. Dies kann z. B. bei HNO-Operationen passieren oder durch Tumor, Schädelfraktur oder eine Nervenentzündung entstehen.
Als zentrale Ursachen firmieren schwere Erkrankungen wie z. B. ein Hirntumor oder auch Verletzungen. So kann z. B. nach einem Schädeltrauma der gleichzeitige Verlust von Riech- und Schmecksinn auftreten.
All diese Informationen werden mir natürlich die Hand führen, wenn ich zur Anamnese meines neuen Patienten schreite. Ich vermute, dass bei ihm eine Parageusie vorliegt, Süßes also nicht mehr als solches geschmeckt werden kann, aber zur Eingrenzung muss noch einiges abgeklärt werden. So gibt es z. B eine Vielzahl an Medikamenten, die eine Störung des Geschmackssinns auslösen können – von Antidepressiva über bestimmte Antibiotika bis hin zu Cortison. Insbesondere bei höheren Gaben von Cortison sind Geschmacksveränderungen in Richtung „metallisch“ und „bitter“ eine recht häufige Nebenwirkung.
Klar ist, dass wir im Ausschlussverfahren alle wahrscheinlichen Ursachen einer genauen Betrachtung unterziehen müssen (wurden vielleicht kürzlich seine Rachenmandeln entfernt?).
Geschmacksstörung – eine schwierige Diagnose
Ich freue mich schon darauf, Roland einem subjektiven Geschmackstest zu unterziehen. Immerhin kann er selbst Auskunft darüber geben, was er schmecken kann. Bei kleinen Kindern oder Demenzkranken, die nicht „mitarbeiten“ können, ist das sicher viel schwieriger.
Keinesfalls maße ich mir an, seine Schmeckstörung objektivieren zu wollen – das ließe sich nur per EEG (Elektroenzephalogramm) oder eine MRT des Schädels (Magnetresonanztomographie) bewerkstelligen, bei der nach zentralen Ursachen gefahndet wird.
Auch um eine nervale Ursache aufzuspüren, müsste medizinisches Fachpersonal konsultiert werden – z. B., um per Elektrogustometrie die elektrische Wahrnehmungsschwelle meines Patienten zu ermitteln. Hierbei würde die Zunge auf beiden Seiten mit Stromstärken im Mikroampere-Bereich gereizt. Alles sehr spannend, aber im Stillen hoffe ich, dass Roland dies erspart bleiben wird.
Um die sogenannte Drei-Tropfen-Methode wird er bei seinem ersten Besuch in meiner Praxis jedoch nicht herumkommen. Mit diesem in den 1960er Jahren vorgestellten Testverfahren lässt sich sehr einfach ermitteln, ob Betroffene die Geschmacksrichtungen salzig, süß, bitter und sauer zutreffend herausschmecken können: Von den drei Tropfen, die nacheinander jeweils auf die Mitte der Zunge des Probanden gegeben werden, sind nämlich zwei geschmacklos. So lässt sich relativ einfach die Schwelle bestimmen, ab der ein bestimmter Geschmack wahrgenommen wird. Mal schauen, was ich ihm zum „Reinschmecken“ alles kredenzen werde …
Geschmacksstörung – woher?
Ganz auszuschließen ist ja auch nicht, dass Rolands Geschmacksstörungen von seinem gastrointestinalen System abhängen, beeinflusst dieses doch erwiesenermaßen u. A. auch unsere Sinnesorgane, Wasserhaushalt und Nervensystem!
Ich gebe zu, es ist im Rahmen dieses Blogs sehr ungewöhnlich, einen Patientenbesuch zu antizipieren, aber ich fand die Recherche so interessant, dass ich Sie daran teilhaben lassen wollte.
Was sich aus der Anamnese ergibt, ob und wie ich Roland helfen kann oder er am Ende doch eine HNO- bzw. neurologische Praxisaufsuchen sollte, wird sich zeigen. Ich verspreche Ihnen aber schon jetzt, dass ich darüber zeitnah berichten werde. Vielleicht sind Sie ja auch ein wenig auf den Geschmack gekommen, sich weiter mit den unterschiedlichen Ausprägungen einer Dysgeusie zu beschäftigen – es sollte mich freuen!
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen ein – hach, es liegt mir auf der Zunge – genau: ein Wochenende voll intensiver Geschmackserlebnisse!
Herzlich
Ihre
Dagmar Praßler
* Name geändert
Schmeckstörung
Titelbild: @ shutterstock
In meinen Blogs beschreibe ich Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Es handelt sich um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie einen Arzt oder Heilpraktiker aufsuchen. Bei meinen Blogs handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge. Neben den beschriebenen Produkten gibt es noch weitere von anderen Herstellern.
Hallo
Ich habe seit über 10 Monaten einen salzigen Geschmack im Mund und Mundtrockenheit.
So viele Untersuchungen haben Nichts ergeben.
Ich bin mit meinen Nerven am Ende ,kein Arzt kann mir helfen.
Ein salziger oder seifiger Geschmack im Mund kann ein unangenehmes Symptom sein, wenn der Schließmuskel zwischen Magen und Speiseröhre nicht richtig funktioniert.
Aber auch zuwenig Flüssigkeitsaufnahme kann zum salzigen Geschmack führen. Empfohlen sind 35ml / je Kg Körpergewicht.
Das tut mit leid! Aus der Ferne kann ich leider nichts tun. Blutzucker, Nieren, Nasennebenhöhlen untersuchen lassen. Ausreichend trinken!!