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Sie kennen das sicher, ob im Restaurant oder beim Essen mit Freunden: Irgendwer verträgt irgendwelche Nahrungsmittel garantiert nicht. Da ist es oft nicht so einfach, für eine größere Runde zu kochen. Im Fokus stehen Abneigungen gegen glutenhaltiges Getreide – insbesondere Weizen – und Milch. Ist das nun ein Hype, der sich verselbständigt hat ohne jede medizinische Grundlage, oder ist was dran an den Unverträglichkeiten? Aus meiner Praxiserfahrung kann ich nur bestätigen: In der Tat reagieren immer mehr Menschen auf Nahrungsmittel höchst empfindlich. Vor allem auf Grundnahrungsmittel wie Getreide und Milch, von denen wir täglich größere Mengen verzehren. Die Symptome sind sehr unterschiedlich und treten häufig erst Stunden nach dem Verzehr auf. Dazu gehören Kopfschmerzen, Schwindel, Konzentrationsstörungen, Hautjucken. Darmbeschwerden wie Blähungen und Durchfall können auftreten, müssen aber nicht.
Über Zöliakie berichte ich an dieser Stelle sehr ausführlich:
Alles Weizen oder was?
Ein Großteil unserer Nahrungsmittel wird heute industriell hergestellt, und das wird zunehmend zum Problem. So verbessert z.B. Weizen die Konsistenz – er „streckt“ Nahrungsmittel wie etwa Wurst, Salatdressing, abgepackten Parmesankäse und so weiter. Wir nehmen also mehr Weizen – und überhaupt glutenhaltiges Getreide – auf, als wir ahnen. Insbesondere Weizen wird im Massenanbau stark verändert. Die Pflanze reagiert darauf mit der Bildung sogenannter „ATIs“, Amylase- und Trypsin-Inhibitoren. Das sind natürliche Abwehrmechanismen der Pflanze, die im menschlichen Darm mit der Schleimhaut reagieren und die dortigen Immunzellen aktivieren. Je glutenhaltiger ein Getreide ist, desto mehr ATIs sind auch enthalten.
Das Massenprodukt „Milch“ kommt da nicht besser weg. Früher hatte ein Bauernhof vielleicht 20-30 Kühe, die natürlich auf der Weide grasen konnten. Heute haben wir große Betriebe mit mehreren hundert Kühen, die im Stall gehalten werden und industriell hergestelltes „Kraftfutter“ bekommen. Die Milch dieser Kühe, mit allen immunologischen und hormonellen Informationen jeder einzelnen Kuh, fließt in großen Bottichen zusammen, und ein Teil daraus landet dann, pasteurisiert und homogenisiert, in unserer Milchtüte. Kein Wunder, dass unser Immunsystem darauf reagiert!
So hatte ich jüngst eine Patientin, die 27-jährige Mathilde*, mit einem gereizten Verdauungssystem: Müdigkeit nach jedem Essen, schlechte Stimmung, und was ihr besonders zu schaffen machte: Sie reagierte zunehmend aufbrausend auf ihre zwei kleinen Kinder. Im Job konnte sie sich nicht richtig konzentrieren, sie berichtete von einem „vernebelten“ Kopf, außerdem war ihre Haut besonders trocken und empfindlich, was sie so aus der Vergangenheit nicht kannte. Ihre Gelenke schmerzten und sie hatte Angst, in ihrem jungen Alter bereits Rheuma zu bekommen. Wir haben zunächst eine Mikrobiom-Analyse gemacht, also eine molekular-genetische Stuhluntersuchung.
Wie Rheuma und das Mikrobiom des Darms zusammenhängen können, finden Sie hier:
Fakt ist:
- Unsere „Billionen Freunde“, also unsere guten Darmbakterien, haben einen enormen Einfluss auf unsere Verträglichkeit von Nahrungsmitteln. Immerhin liegen 80% unserer Immunzellen in der Darmschleimhaut.
- Bestimmte Bakterien wie E.coli, Enterococcus und Lactobacillus sind hier an vorderster Front für die sogenannte „orale Toleranz“ zuständig, also die Akzeptanz von Nahrungsmitteln durch unser Immunsystem. Diese sind ja per se „Fremdstoffe“, die von außen in den Körper gelangen und von den Immunzellen als schädlich oder nicht schädlich eingestuft werden.
- Fehlen diese wichtigen Bakterien, zum Beispiel nach der Einnahme von Antibiotika, gerät das empfindliche System in der Darmschleimhaut durcheinander und erklärt u. U. das Müsli zum Feind des Körpers.
Im Falle meiner Patientin waren die für die orale Toleranz zuständigen Bakterien viel zu niedrig:
Das Immunsystem der Darmschleimhaut produzierte jede Menge Antikörper:
Eine Histamin-Intoleranz war unwahrscheinlich:
Das galt auch für eine Fructose- und Sorbit-Unverträglichkeit, wobei hier ein Atemgastest sicheren Aufschluss gibt.
Da unser Darm von einem großen, sehr sensiblen Nervensystem durchzogen ist, das direkt mit unserem vegetativen Nervensystem kommuniziert, können ständige immunologische Reize auf Nahrungsmittel auch die Psyche belasten.
Ein Bluttest hat dann Aufschluss darüber gegeben, auf welche Nahrungsmittel meine Patientin reagierte:
Wir kommen in so einem Fall nicht umhin, auf die Nahrungsmittel, auf die unser Körper reagiert, vorübergehend zu verzichten, damit das Immunsystem sich beruhigt. Je nach Vorliebe werden „Ersatznahrungsmittel“ eingesetzt.
Im vorliegenden Fall habe ich meiner Patientin geraten, für mindestens drei Monate auf Eier, Milch und Produkte daraus zu verzichten, das betrifft sowohl die Kuhmilch als auch Ziegen- und Schafsmilch! Als Ersatz sollten Soja-, Reis- und Kokosmilch auf den Tisch kommen. „Milch“ aus Haselnüssen und Mandeln kamen nicht in Frage, da auch diese Nüsse für drei Monate eliminiert werden mussten.
An Getreide durfte sie glutenfreies essen (bis auf Quinoa), auch glutenfreie Haferflocken durften in die Müsli- Schüssel wandern. Auf Eierspeisen sollte sie auch verzichten, zum Kochen und Backen bietet sich Ei-Ersatz an, zum Beispiel aus Süßlupinenmehl (erhältlich bei ALNATURA). Es ist grundsätzlich ratsam, jedes Nahrungsmittel zu rotieren, also nur jeden dritten bis vierten Tag davon zu essen. Gegen Lieblingsnahrungsmittel, die wir gern täglich und in größeren Mengen essen, kann der Körper Antikörper bilden. (Das gilt im weiteren Sinne leider auch für Schokolade!)
- Entscheidend ist aber die Wiederherstellung der immunologischen Akzeptanz durch die Zufuhr von Multispezies-Probiotika. Diese enthalten lebensfähige Darmbakterien, sogenannte Leitkeimstämme, die sich an der Darmschleimhaut ansiedeln, die Immunzellen mit den richtigen Informationen versorgen und so für eine größere Toleranz sorgen. Nach einigen Monaten können dann die meisten Nahrungsmittel ohne Probleme wieder gegessen werden.
- Auch sind diese Leitkeimstämme, sogenannte „Kommensalen“, in der Lage, die Darmbarriere wieder abzudichten, so dass sich die darunter liegende Schleimhaut – die Submucosa – erholen kann und nicht gereizt reagiert.
- Multispezies-Probiotika enthalten schockgefrostete, humane Darmbakterien, die natürlicherweise im menschlichen Darm vorkommen und, wenn sie eingenommen werden, einen Nutzen für den „Wirt“, also den Menschen, haben. Übrigens gehören Joghurtbakterien nicht dazu! Zum einen sind wir nun mal kein Joghurt und brauchen deshalb andere Bakterienstämme, zum anderen finden sich die Joghurt-Bakterien am nächsten Tag im WC wieder, weil sie sich nicht auf unserer Darmschleimhaut angesiedelt haben. Gut sind die im Joghurt enthaltenen Bifido- und Laktobazillen, weil sie Milchsäure produzieren, die unterstützend ist für das Milieu in unserem Darm. Aber – wie gesagt – sie winken uns nur kurz zu und verschwinden dann wieder.
Ich habe meiner Patientin das Multispezies-Probiotikum OMNi-BiOTiC® 6 empfohlen, das die lebens- und vermehrungsfähigen Leitkeimstämme enthält, welche die größte Wirkung auf das Immunsystem haben:
Bifidobacterium animalis W53
Lactobacillus acidophilus W55
Lactobacillus salivarius W57
Enterococcus faecium W54
Lactococcus lactis W58
Lactobacillus casei W56
OMNi-BiOTiC® 6 ist frei von tierischem Eiweiß, Gluten, Hefe und Lactose und geeignet für Diabetiker, Milch-Allergiker, Kinder, Schwangere und stillende Mütter.
Bakterien sind soziale Wesen!
Von großer Bedeutung für die Wirkung von Probiotika ist nicht nur die Auswahl einzelner Keime, sondern deren Verhalten „im Verbund“. Bakterien sind soziale Wesen, sie sondern Signalstoffe ab und „quatschen“ so miteinander. Ein einzelner Keim kann wenig ausrichten, außer: das Milieu zu beeinflussen. Die Bakterienfamilien jedoch übernehmen konkrete Aufgaben im Körper. Es gibt keine Körperzelle, die nicht im ständigen Kontakt mit dieser Familienbande stehen würde! Deren Sprache nennt sich „Quorum sensing“ und ist auf allen Bakterien-„Kontinenten“ gleich.
Auch Lebensmittel senden Signalstoffe, auf die Bakterien reagieren. Diese „Furanone“ fördern bestimmte Bakterienpopulationen und hemmen andere. Ascorbinsäure ist zum Beispiel ein Furanon, das wir als Vitamin C kennen. Es kommuniziert vor allem mit den immunologisch wirkenden Bakteriengruppen!
Ich habe Mathilde erklärt, dass sie die Bakterien in ein Glas mit etwas Wasser geben und rund 20 Min. aktivieren soll, um sie dann am besten morgens nüchtern zu trinken. Schockgefrostete und getrocknete Bakterien ziehen sofort Flüssigkeiten an, wenn sie damit in Berührung kommen. Daher ist es wichtig, dass dies außerhalb des Körpers stattfindet und nicht etwa im Magen oder im Dünndarm. Dazu habe ich ihr die Einnahme von Zink, L-Glutamin, Lecithin und wichtigen Vitaminen, Spurenelementen und Pflanzenstoffen als Futter für die freundlichen Darmbakterien und zur Beruhigung der gereizten Darmschleimhaut verschrieben.
Lecithine sind ein köpereigenes „Spezialfett“ und Bestandteile der Zellmembranen tierischer und pflanzlicher Lebewesen. Insbesondere das Phosphatidylcholin ist ein zentraler Baustein des Schleimes, der wie eine dicke Schicht auf der Darmschleimhaut liegt, diese schützt und unseren befreundeten Bakterien quasi als „Wohnhaus“ dient.
Für ihr Nervensystem habe ich Mathilde metacare® Griffonia+ verschrieben, das natürliche Glückshormon aus der afrikanischen Schwarzbohne.
Nach 14 Tagen berichtete sie, die Nahrungsumstellung sei ihr zwar schwergefallen, aber eine leichte Verbesserung würde sie schon spüren. Nur der morgendliche Espresso Macchiato ohne Kuhmilch ginge gar nicht. Ok, auf diese Ausnahme haben wir uns dann geeinigt.
Nach vier Wochen waren die Gelenkschmerzen verschwunden und die Stimmung deutlich besser (ist auch ihren Kindern aufgefallen), der Nebel im Kopf tauchte nur noch nach langen Besprechungen auf – und der Bauch war merklich flacher! Klar, wenn Entzündungsreaktionen auf der Darmschleimhaut zurückgehen, ist der Bauch nicht mehr so aufgetrieben. Nur mit Ihrer Haut war sie noch nicht zufrieden.
Unser Darm hat eine Fläche von rund 400 m2, die Haut nur ca. 2 m2. Was der Darm an Entgiftung nicht schafft, sehen wir dann auf der Haut. Da hilft „Pflaster drauf“ oder „eincremen“ für den Moment, es bekämpft aber die Ursache nicht. Ein Pflaster schützt nur vor äußeren Einflüssen, aber nicht vor inneren.
Ich habe der Patientin mit aminoplus® essentielleinen Cocktail aus essenziellen Aminosäuren empfohlen, die als Nährstoffe für die Haut wirken können. Die Ergebnisse sind nach meiner Erfahrung häufig verblüffend.
Mathilde wird ihre Ernährungsumstellung noch mindestens zwei Monate weiterführen, eventuell auch länger.
Viele meiner Patient*innen gewöhnen sich an den Verzicht von Gluten und Milch, weil es ihnen „ohne“ einfach besser geht. Fleisch, Geflügel und Eier sollten, wenn überhaupt, möglichst direkt vom Bauernhof, zumindest aber aus dem Bioladen oder Reformhaus auf den Tisch kommen. Die Tiermast ist unerträglich, und das schlechte Futter sowie den immensen Stress der Tiere essen wir mit – auf Kosten unserer Gesundheit!
Wir fühlen uns berechtigt, eine Kuh künstlich zu befruchten und ihr Baby zu stehlen, obwohl ihre Angstschreie unüberhörbar sind. Dann nehmen wir ihre Milch, die für ihr Kalb gedacht ist und geben sie in unseren Kaffee und unser Müsli. (ganze Rede hier sehen)
Joaquin Phoenix,
Oscar-Preisträger 2020
Herzlich
Ihre Dagmar Praßler
*Name geändert
In meinen Blogs beschreibe ich Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Es handelt sich um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie einen Arzt oder Heilpraktiker aufsuchen. Bei meinen Blogs handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge. Neben den beschriebenen Produkten gibt es noch weitere von anderen Herstellern.