Warum die Diversität der Bakterienstämme in unserem Gedärm in Gefahr ist und welche erstaunlichen Erkenntnisse die DNA-Sequenzierung ermöglicht – mit solchen Fragen beschäftigt sich sogar die Tageszeitung „taz“.
Wenn Sie, liebe Leserin und lieber Leser, diesen Blog schon länger verfolgen, kann ich Ihnen nur noch wenig Neues über die komplexe Rolle und Verfasstheit des menschlichen Darmmikrobioms (neudeutsch: „Mikrobiota“) erzählen.
Umso freudiger ergreife ich heute die Gelegenheit, mal aus einer anderen Perspektive auf das menschliche Mikrobiom zu blicken, nämlich der von Annette Jensen*, einer Autorin, die in der Tageszeitung „taz“ publiziert. In ihrem Artikel „Jeder Mensch ist ein Biotop“1 legt Jensen den Fokus u. A. auf Fortschritte in der Erbgutforschung, widmet sich aber auch der Evolution der Darmbakterien und der Bedeutung der Diversität.
Alles in allem ein sehr lesenswerter Artikel, aus dem ich hier nach Herzenslust zitieren möchte. Schon dem Untertitel lässt sich eine gewisse Begeisterung für das Thema entnehmen:
„In unserem Dickdarm leben Milliarden Mikroorganismen und arbeiten zusammen. Dieses Mikrobiom ist so individuell wie ein Fingerabdruck.“ Selbst wer die Rolle der Darmmikrobiota zu kennen meint, kann das Staunen nachvollziehen, das aus Jensens Darstellung spricht:
„Das Mikrobiom ist das Zusammenspiel der vielen Milliarden Bakterien, Viren und anderen Kleinstlebewesen, die den Menschen besiedeln. Hotspot im menschlichen Körper ist der Dickdarm: Hier finden sich 99 Prozent der Wesen, die uns als Lebensraum nutzen. Sie verfügen über ein riesiges Arsenal von Enzymen, die die Stoffwechselmöglichkeiten des menschlichen Körpers um ein Vielfaches erweitern.“
Der Mensch besitzt weniger Gene als ein Wasserfloh
Eingangs erwähnt Jensen das berühmte Human Genome Project, ein weltumspannendes Forschungsprojekt „zur Entschlüsselung des menschlichen Erbguts“, auf dessen verblüffende Erkenntnisse auch ich in Vorträgen immer gern verweise:
„Nicht nur ist die Menschheit zu 99,9 Prozent genetisch identisch. Auch besteht unser Erbgut lediglich aus etwas mehr als 25.000 Genen. Bei einem Wasserfloh wurden später gut 31.000 Gene gefunden.“
Nun würde niemand daraus schließen, dass Wasserflöhe uns Menschen überlegen wären, aber: „Die Einsicht, dass sich unsere Komplexität wohl kaum auf diese Weise erklären lässt, trug ebenso zu einem Quantensprung der Erkenntnisse bei wie neue DNA-Sequenzierungstechniken. Mit denen lässt sich seit gut zehn Jahren das Mikrobiom erforschen.“ (Diesem Umstand haben wir ja auch die Erfolge der probiotischen Medizin zu verdanken, die sich die Diversität der Darmbakterien auf die Fahne geschrieben hat.)
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, was sich in unserer Körpermitte abspielt, zitiert Jensen Richard Lucius, einen emeritierten Professor der Berliner Humboldt-Universität, der das Buch Die Kraft unseres inneren Ökosystems verfasst hat:
„Schon über tausend Arten sind nachgewiesen. Es gibt Konkurrenzen und Kooperationen, manche Arten ergänzen sich oder liefern sich Stoffe zu. Im Grunde muss man sich das vorstellen wie einen Wald mit seinen vielen verschiedenen Pflanzen, Tieren, Pilzen und Kleinorganismen.“
Und so, wie das Artensterben der Natur zusetzt, wirken sich Dysbalancen in der Bakterienwelt des Darms auf unsere Gesundheit aus. Hinzu kommt:
„Das Mikrobiom verändert sich dauernd“
Welch neue Einsichten die moderne DNA-Sequenzierungstechnik ermöglicht – dafür zitiert Jensen u. A. eine Lebensmittelchemikerin: „Die Evolution bei Bakterien ist extrem schnell, das Mikrobiom verändert sich dauernd. Essen, Bewegung, aber auch Klimawandel oder der Boden haben Einfluss.“
Falls Sie sich für die Stoffwechseleigenschaften der Mikrobiota begeistern wollen:
Dass sich der persönliche Lifestyle auf die Gesundheit auswirkt, mag zwar kaum überraschen, doch wie weitreichend die Folgen sind, können wir uns gar nicht oft genug vor Augen halten: „Die neue Untersuchungsmethode brachte ans Licht, dass naturnah lebende Menschen eine diversere Darmbewohnerschaft haben als die Bevölkerung von Metropolen. Vor allem die ersten drei Lebensjahre sind entscheidend für die bakterielle Grundausstattung.“
Hier bemüht Jensen wieder den oben erwähnten Richard Lucius: „Ein artenreiches Mikrobiom schützt vor allergischen Erkrankungen.“ Und Jensen ergänzt sehr richtig: „Auch chronische Darmentzündungen, Schuppenflechte und Multiple Sklerose sind mit der Ausbreitung des westlichen Lebensstils assoziiert.“
Was das Mikrobiom im Dickdarm verarmen lässt
Eben dieser Lebensstil ist auch für das „Artensterben“ bei den Darmbakterien verantwortlich, denn: „Der hat zwar Sanitäranlagen in jede Wohnung und eine hohe Lebenserwartung durch medizinische Versorgung gebracht. Zugleich gehen damit aber auch viele hochverarbeitete Lebensmittel und wenig natürliche Ballaststoffe in der Nahrung einher.
In der Folge hungert und verarmt das Mikrobiom im Dickdarm. Außerdem spielt sich unser Alltag vorwiegend in Innenräumen ab und ist bewegungsarm, was der Vielfalt der inneren Wohngemeinschaft ebenfalls nicht gut tut.“
Selbst die Archäologie liefert Hinweise, dass sich der Artenreichtum im menschlichen Darm verringert hat: „Vieles spricht dafür, dass ein erheblicher Teil der Bakterien, die einst menschliche Därme bevölkerten, schon ausgestorben ist. Das legen menschliche Exkremente nahe, die bei archäologischen Ausgrabungen gefunden wurden.
Diese uralten, versteinerten Würste können nicht nur viel darüber erzählen, was jemand vor Tausenden von Jahren gegessen hat. Auch das Mikrobiom seines Darms lässt sich daraus oft noch rekonstruieren. Deutlich wird: Unsere Vorfahren waren von einer wesentlich größeren Bakterienvielfalt besiedelt, als wir es heute sind.“
Ein Archiv der Darmbakterien
Grund genug, wenigstens den Status quo des bakteriellen Kosmos zu bewahren. Wie dies geschehen soll? „Mehrere Initiativen wollen nun auch Stuhlbanken einrichten. Vorbild für das am weitesten vorangeschrittene Projekt Microbiota Vault ist der Saatguttresor auf Spitzbergen, in dem Samen von vielfältigen Nutzpflanzen lagern, um sie in die Zukunft zu retten. Auf ähnliche Weise soll ab 2028 auch das menschliche Mikrobiom archiviert werden.“
Alles, um zu verhindern, dass die heute noch vorhandene Vielfalt an Darmbakterien „unter dem zunehmenden Einfluss zivilisatorischer Faktoren wie beispielsweise der Antibiotikaübernutzung oder ungesunder Ernährung für immer verloren gehen“ könnte.
Klicken Sie gern den Link hier unten, um den zitierten Artikel in seiner Gesamtheit nachzulesen. Was wir Zeitgenossen gegen das „Artensterben im Darm“ tun sollten, dürfte aber hinreichend klar geworden sein: Eine ballaststoffreiche (bakterienfreundliche) Ernährung und Bewegung bilden dabei die wichtigsten Säulen …
Herzlich, Ihre
Dagmar Praßler
* Alle wörtlichen Zitate stammen aus einem Artikel auf dem Online-Portal der Tageszeitung „taz“ vom 15. Mai 2023.
1 Quelle: https://taz.de/Mikrobiom-im-Darm/!5930657
Diversität Mikrobiom
In meinem Blog beschreibe ich regelmäßig Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Neben den von mir beschriebenen Produkten gibt es fast immer auch weitere von anderen Herstellern.
Es handelt sich in den Beschreibungen um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie grundsätzlich ärztlichen Rat oder den einer Heilpraktikerin / eines Heilpraktikers einholen.
Im Wechsel zu den Berichten aus der Praxis widme ich mich hier aber auch (unter dem Rubrum „News“) aktuellen Studien, die ich für erwähnenswert halte oder einen direkten Bezug zum Mikrobiom haben. Auch hier handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge
Danke für Ihre immer wieder erhellenden Artikel zum Thema Darm und Microbiom. Was ich schon öfter lesen konnte und auch hier wieder sehe. Sie schreiben, „Vor allem die ersten drei Lebensjahre sind entscheidend für die bakterielle Grundausstattung.“.
Bedeutet das, daß sich daran nichts mehr Grundlegend ändert ? Auch konnte ich schon gelegentlich lesen, daß sich die zugeführten Probiotika nicht dauerhaft ansiedeln. Sie schreiben wiederum, daß Lebensstil und Umwelt einen deutlichen Einfluss haben.
Hintergrund meiner Frage ist der Umstand, daß ich zwischen meinem 1. und 2. Lebensjahr über ein halbes? Jahr Antibiotika einnehmen mußte. Das war in den 60ern. Seit nun schon längerer Zeit beschwert sich mein Darm in Richtung träge. Deshalb hatte ich mich dafür entschieden das Sr 9 zu nehmen, was ich nun seit 3 Monaten mache. Eine Veränderung/Verbesserung konnte ich bisher nicht feststellen. Durchschnittliche Bewegung ist gegeben und in der Ernährung habe ich einen Gemüse und Salatanteil von ca. 50% dazu noch etwas extra an zusätzlichen Ballasstoffen.
Könnte es mit der frühen Antibiotikabehandlung zusamenhängen ?
Hallo Detlef!
Antibiotika-Gaben in den ersten Lebensjahren haben einen großen Einfluss auf unser Mikrobiom – und somit unsere Gesundheit, und das ein Leben lang. Bakterienstämme in Probiotika haben nicht die vorrangige Aufgabe, sich 1:1 im Darm anszusiedeln. Sie verändern nachhaltig das Milieu, so dass sch weitere, gesundheitsfördernde Stämme ansiedeln bzw. „nachwachsen“ können, zudem kommt es immer auf die Qualität der Probiotika an. Solche mit einer medizinischen Relevanz haben ihre in Studien nachgewiesene Wirkung.
Zu Ihrem Problem: Ein träger Darm hat in Ihrem „Alter“, wenn ich das so sagen darf, andere Ursachen als die Antibiotika-Gaben in der Kindheit. Jenseits von 40 Jahren lässt die Darm-Motorik nach, alles wird langsamer. Ballaststoffe, z.B. auch als Präbiotika, sind hilfreich. Gern mal das Omni-Biotic 6 als Probiotikum probieren, da es sich bei solchen Problemen bewährt hat. Dazu evtl. das Omni-Logic FIBRE, das einfach in Getränke oder Speisen eingeführt wird und einen langsamen Darm in Schwung bringt. Mit der gesunden Ernährung und der Bewegung weitermachen! Alles Gute!
Super Artikel… so wahr!