Nahrungsmittel-Unverträglichkeiten sind, im wahrsten Sinne des Wortes, in aller Munde. Die meisten sind reversibel, weil sie mit einer Dysbiose zusammenhängen und durch eine Darmsanierung behandelt werden können. Aber was, wenn die Intoleranz vererbt wurde?
Bei vererbbaren Intoleranzen wie der hereditären Fruktoseintoleranz (HFI) liegt im Gegensatz zur (behandelbaren) Malabsorption ein Gendefekt vor, der die Betroffenen zwingt, ihr Leben lang auf Fruchtzucker zu verzichten. Und auf Sorbit, wie wir noch sehen werden.
Meine neue Patientin Sabine* ist 48 Jahre alt und Sozialpädagogin. Fast ihr ganzes Leben lang plagten sie diffuse Beschwerden, die mal schlimmer, mal besser waren, weswegen sie sich nie diesbezüglich untersuchen ließ. In letzter Zeit nahmen die Symptome aber so zu, dass nun eine erweiterte Diagnostik veranlasst wurde.
„Ich hatte oft üble Bauchschmerzen und Übelkeit, die mit heftigen Blähungen und Durchfall einhergingen. Mein Bauch war dann zu einem Luftballon angeschwollen. Dazu kamen diese Schweißausbrüche, furchtbar. Das kannte ich gar nicht von mir.“
„Welches Kind mag denn bitte keine Süßigkeiten?“
Sabine wirkte sichtlich mitgenommen, als sie mir von ihrer Symptomatik berichtete.
Süßigkeiten und Obst seien noch nie „ihr Ding“ gewesen.
„Meine Eltern haben sich früher immer darüber gewundert. Welches Kind mag denn bitte keine Süßigkeiten? Aber ich zählte schon immer eher zur ,Gurkenfraktion’. Rückblickend frage ich mich freilich schon, ob das nicht vielleicht ein Zeichen war.“ Ja, definitiv kann dies ein Hinweis auf eine Intoleranz sein, Betroffene meiden Fructose oft intuitiv.
„Zum Glück bin ich jetzt bei einer Ärztin gelandet, die eine Blutuntersuchung bestimmter Gene veranlasst hat“, fuhr Sabine fort. „Die hat festgestellt, dass ich eine geerbte Fructoseintoleranz habe.“ Aber sie fügte auch hinzu, dass ihr nicht ganz klar sei, warum bei einer angeborenen Erkrankung die Symptome erst jetzt aufträten. Schließlich sei sie ja schon eine Weile erwachsen.
Eine durchaus legitime Frage, die wir auch noch beleuchten werden. In erster Linie fühlte sich Sabine nun aber, was ihre Ernährung betraf, ziemlich überfordert und suchte Unterstützung. Auch wollte sie wissen, ob bei einer ererbten Stoffwechselerkrankung eine Behandlung des Darms überhaupt Sinn machen würde.
Jetzt aber mal zurück auf Anfang: Den Begriff Fructose hat bestimmt jede:r schon mindestens einmal gehört, aber was genau hat es damit auf sich? Vor allem gibt es dann ja noch Saccharose und Glucose und Sorbit und so weiter. Wie unterscheiden sich diese verschiedenen Formen des Zuckers?
Erscheinungsformen der Fructose
• Fructose als Monosaccharid
Dieser „Einfachzucker“ist als Naturprodukt in Früchten und Gemüse enthalten, wird aber auch industriell als Süßungsmittel für Getränke und Fertigprodukte verwendet
• Fructose als Disaccharid
In Verbindung mit Glucose wird Fructose zum Zweifachzucker (Disaccharid) „Saccharose“. Das kommt überall zum Einsatz, wo Zucker für Gebäck, Desserts, Eiscreme, Kuchen etc. verwendet wird
• Fructose als Polysaccharid
Sind viele Fructosemoleküle fest miteinander verknüpft, spricht man von „Mehrfachzucker“ (Polysaccharid). Der kommt z. B. als Inulin in größeren Mengen in Topinambur vor, aber auch in Lauch, Zwiebeln, Knoblauch oder Spargel
Die Moleküle unterscheiden sich in der genauen Zusammensetzung und Länge. Fruchtzucker ist natürlicherweise hauptsächlich in Obst und manchen Gemüsesorten enthalten, findet sich heutzutage aber leider auch in Mengen (!) in industriell gefertigten Produkten wieder, wo es oft auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist … oder hätten Sie gewusst, dass Leberwurst ein wahres Zucker-Depot darstellt? Das ist tückisch.
Besonders ungünstig ist der hochkonzentrierte Fructose-Glucose-Sirup, der sich in vielen Produkten wie Lakritz, Biermischungen und „Convenience Drinks, Balsamico-Essig, aromatisierten Kaffeegetränken, Käsemischungen usw. findet.
Bitte lest das Kleingedruckte!
Sabine zog die Augenbrauen hoch. Eine Reaktion, wie ich sie schon oft erlebt habe: Die Unkenntnis über versteckten Zucker ist weit verbreitet. Deshalb rate ich immer wieder allen, ob mit oder ohne Unverträglichkeiten, wenig bis keine von der Industrie gemischten Lebensmittel oder Süßigkeiten zu verzehren … und immer die Inhaltsangaben auf den Packungen zu lesen! Die Substanz, die an erster Stelle steht, ist am höchsten konzentriert.
Mehr über versteckte Zuckerbomben und die ruchlosen Tricks der Zuckerindustrie erfahren Sie hier:
Glucose – die Grundlage unseres Lebens
Glucose ist ein Einfachzucker, die Grundlage unseres Lebens und unser Treibstoff. Zusammen mit anderen Bausteinen kann daraus auch ein Zweifachzucker gebaut werden wie z. B. die Saccharose – unser Haushaltszucker. Saccharose besteht aus einem Glucose- und einem Fructosemolekül.
Sorbit ist ein Zuckeralkohol und im Rahmen der Unverträglichkeiten relevant, weil es ein Zwischenprodukt beim Abbau von Glucose zu Fructose ist und sich oft auch als Süßungsmittel in „zuckerfreien“ Lutschbonbons wiederfindet.
Um aber den Kreis zu Sabines Anfangsfrage zu schließen: Wie kann es sein, dass ihre angeborene Fructoseintoleranz bisher noch nicht erkannt wurde? Die Erkrankung ist unterschiedlich ausgeprägt, einige Patienten wie Sabine tolerieren tatsächlich eine gewisse Menge an Fructose.
Eine Genmutation als Ursache allen Übels
Die Symptome der hereditären Fructoseintoleranz und der Fructosemalabsorption/ -unverträglichkeit können sich überschneiden, man muss aber dazu sagen, dass die Symptome der HFI potenziell deutlich schwerwiegender sein können, weil sie über den Verdauungstrakt hinausgehen.
Ich fragte Sabine, ob ihr bereits der Unterschied zwischen den beiden Erkrankungen erklärt worden sei, was sie kopfschüttelnd verneinte und mir somit grünes Licht gab, loszulegen:
Bei der HFI findet man eine Mutation im Gen des Enzyms Aldolase B. Die hereditäre Fructoseintoleranz wird autosomal-rezessiv vererbt, d. h. dass beide Eltern die genetische Veranlagung dafür aufweisen müssen, auch wenn sie selbst vielleicht nicht symptomatisch sind.
Die Aldolase B ist wichtig beim Abbau der Fructose. Ist diese defekt oder nicht in ausreichender Menge vorhanden, sammelt sich das Zwischenprodukt Fructose-1-Phosphat in der Leber an. Fructose-1-Phosphat hat eine hemmende Wirkung auf die Enzyme, die dem Körper helfen, Glucose bereitzustellen, so dass im schlimmsten Fall bei der Aufnahme von Fructose eine starke Unterzuckerung (Hypoglykämie) auftreten kann.
Dann ist allerdings schon Matthäi am Letzten, denn ausgeprägte Anfälle von Hypoglykämie stellen einen Notfall dar und werden mit intravenös verabreichter Glukose behandelt. Bei leichter Unterzuckerung genügt dagegen schon ein Stück Traubenzucker, das daher jeder, der an einer geerbten Fructoseintoleranz leidet, immer bei sich tragen sollte!
Als Folge einer nicht erkannten Fructoseintoleranz kann die Leber durch die Akkumulation krankhaft vergrößert sein und schlimmstenfalls ins Leberversagen rutschen.
Die Folgen sind Gelbsucht und in extremen Fällen Krampfanfälle und Koma.
Weitere Komplikationen sind hypoglykämische Nieren- und / oder Gehirnschäden.
Zudem entsteht bei Fructosezufuhr über die Nahrung ein intrazellulärer Mangel an ATP (universeller Energieträger), der zellschädigend ist.
Das sollte um jeden Preis vermieden werden. Meist wird die Diagnose im jungen Kindesalter gestellt, wenn das Kind bei der Umstellung von Muttermilch auf Beikost auffällig wird. Wie bei Sabine ist es gar nicht so selten, dass die Betroffenen intuitiv eine Abneigung gegen Süßes entwickeln und die Erkrankung aus diesem Grund noch lange Zeit unentdeckt bleibt. Meist wird aber aufgrund des mangelnden Wissens um die Diagnose trotzdem Fructose, Saccharose oder Sorbit aufgenommen, so dass diffuse Symptome auftreten können wie z. B.:
- Bauchschmerzen
- Übelkeit
- Erbrechen
- Durchfall
- Blähungen
- Abgeschlagenheit
- Schwitzen
- Zittern
Wenn das Problem im Dünndarm liegt
Die Darmbeschwerden können so oder ähnlich auch bei der einfachen, meist vorübergehenden Fructoseunverträglichkeit auftreten. Jedoch beschränken sich hier die Beschwerden auf den Darm, die Unverträglichkeit ist keine Stoffwechselerkrankung. Das Problem liegt hier im Dünndarm:
Dort schleust der GLUT-5-Transporter die mit der Nahrung aufgenommene Fructose normalerweise durch die Darmschleimhaut in die Blutzellen. Bei einer Unverträglichkeit herrscht jedoch ein Mangel des GLUT-5-Transporters, die Fructose kann also nicht aufgenommen werden und wird weiter in den Dickdarm befördert, wo sie nicht hingehört und mit Getöse ausgeschieden wird.
Da zudem die Gase, die dabei entstehen (u. a. Methan und Wasserstoff), erst in die Blutbahn wandern und dann über die Lunge abgeatmet werden, lässt sich eine Fructoseunverträglichkeit auch über einen Atemtest feststellen.
Für den häufig hierbei auftretenden Durchfall gibt es eine andere Erklärung: Fructose bindet Wasser, das dann nicht wie vorgesehen im Dickdarm dem Stuhl entzogen wird, sondern für die wässrige Konsistenz des Endprodukts sorgt.
Ein weiterer unliebsamer Fakt: Die Vorstufe des Glückshormons Serotonin – das sog. Tryptophan – bindet an Fructose und wird im gesunden Darm so in das Blut aufgenommen. Bei einer Malabsorption geht aber auch das Tryptophan und somit unser Glückshormon in den Dickdarm – und schließlich ins WC – wie unschön!
Wie schon erwähnt, lässt sich diese Fructose-Unverträglichkeit durch eine Darmsanierung gut behandeln. Aber wie sieht es mit der geerbten Intoleranz aus? Immerhin handelt es sich um eine Stoffwechselerkrankung, der Tatort ist die Leber.
Natürlich können auch noch so pfiffige Darmbakterien die Vererbung einer Krankheit nicht verhindern, aber sie sind maßgeblich an der Schwere der Symptomatik beteiligt.
Auch wenn Sabine ihren Erzählungen nach nie ein größeres Bedürfnis nach Zucker verspürt hat, wird ihr die jetzt nötige Umstellung doch einiges abverlangen. Wir werden ihr Mikrobiom so unterstützen, dass sich mehr Butyrat-bildende Bakterien in ihrem Darm ansiedeln, die das Verlangen nach Süßem effektiv unterdrücken – und die Leber schützen! Die Leber ist, wie schon beschrieben, das Organ, das am gefährdetsten ist. Tatsächlich können bestimmte Darmbakterien durch ihre Stoffwechselprodukte die Leber unterstützen.
Die Universitäts-Professorin Dr. Vanessa Stadlbauer-Köllner von der Medizinischen Universität Graz sagt dazu:
„Der Darm steht in einem äußerst interessanten funktionellen Zusammenhang mit der Leber, da Nährstoffe, Vitalstoffe, aber auch Signalmoleküle (Zytokine) und bakterielle Bestandteile über ein großes Blutgefäß, die Pfortader, als erstes in die Leber gelangen. Unter normalen Bedingungen treten nur wenige bakterielle Bestandteile, z. B. Endotoxine und bakterielle DNA, via Darmwand in das Blut über. Sie werden dann in der Leber rasch abgebaut. Bei einer Störung der Darmbarriere kommt es zu einem stark vermehrten Einstrom bakterieller Bestandteile in die Leber, die nicht mehr damit umgehen kann. Das führt zu entzündlichen Veränderungen im Organ und damit zu einem Leberschaden.“
Genau dies gilt es insbesondere bei meiner Patientin Sabine unbedingt zu vermeiden! Ich habe ihr deshalb das Multispezies-Probiotikum OMNi-BiOTiC® HETOX verschrieben. In Studien hatte sich gezeigt, dass die darin enthaltenen Leitkeimstämme sogar eine schwer geschädigte Leber, eine Leberzirrhose, positiv beeinflussen und die Heilungschancen verbessern konnten.
Ein Tipp aus der Praxis: Aktivieren Sie OMNi-BiOTiC® HETOX (anders, als auf der Verpackung angegeben) für 30 Minuten, dann ist die Matrix, die das Futter der Bakterien darstellt, von diesen komplett verstoffwechselt und steht dem menschlichen Körper nicht zur Verfügung.
Die Leber profitiert zudem von einer gezielten Nährstoffkombination mit bewährten Bitterstoffen aus Mariendistel, Artischocke und Löwenzahn, ergänzt durch Cholin zur Unterstützung des Stoffwechsels, wie es z. B. in META-CARE® Leber enthalten ist.
Worauf also sollte Sabine besonders achten? Wenn sie ihre Symptome loswerden bzw. davon befreit bleiben möchte, führt kein Weg daran vorbei, auf Fructose, Saccharose, Sucralose und Sorbit in der Nahrung zu verzichten. Die Liste mit „verbotenen“ Lebensmitteln ist leider sehr lang und vor allem anfangs sicherlich überfordernd.
Hier eine sehr hilfreiche Liste von DEBInet (Deutsches Ernährungsberatungs- & – informationsnetz)
https://www.ernaehrung.de/static/tipps/intoleranzen/pdf/tabelle_fructose.pdf
Nicht nur Obst ist bei der HFI tabu, auch viele Gemüsesorten beinhalten Fructose. Zu den fructosearmen Gemüsesorten, bei denen sie also „nichts falsch machen“ kann, zählen z. B. Spinat, Gurken, Champignons oder Blattsalat. Als Richtwert gilt es eine Fructosemenge von maximal 0,8g pro 100g Gemüse nicht zu überschreiten. Und von diesem Gemüse sollten insgesamt nicht mehr als 150g pro Tag verzehrt werden.
„Kann ich dann im Geschäft einfach zu zuckerfreien oder ,Zero-Produkten’ greifen?“, fragte Sabine hoffnungsvoll. „Sonst bleibt ja fast nichts mehr übrig, was ich noch essen kann …“
So leid es mir auch tat, aber den Zahn musste ich ihr leider ebenfalls ziehen. Oft wird den „zuckerfreien“ Produkten nämlich Sorbit hinzusetzt, was aus oben erklärten Gründen leider auch ein „no-go“ ist. Die Verpackungen sehr genau zu lesen ist also angesagt.
Mehr zu Zuckerersatzstoffen und ob sie eine würdige Alternative sind:
Sabine wird zwar vermutlich neue Kochbücher benötigen, aber mittlerweile gibt es so viele Ideen und Alternativen, dass für eine gewisse Abwechslung gesorgt sein sollte.
Wichtig ist auch eine Vitaminsubstitution, weil die Ernährung nicht so vielseitig gestaltet werden kann, wie es wünschenswert ist. Vor allem Zink, Vitamin C und die B-Vitamine inkl. der Folsäure müssen oft substituiert werden. Dafür nahm ich Blut ab, um erst mal ihren aktuellen Vitaminstatus zu checken.
Aber um die Sitzung mit Sabine mit einer positiven Note zu beenden: Durch diese zwar unfreiwillige Ernährungsumstellung wird sie gleichzeitig vielen anderen möglichen Problemen vorbeugen, z. B. dem metabolischen Syndrom, das in erster Linie auf einen erhöhten Zucker- und Fructosekosum zurückgeht, wie ich es hier beschrieben habe:
In diesem Sinne grüßt Sie herzlich
Ihre
Dagmar Praßler
Fructoseintoleranz Behandlung
In meinem Blog beschreibe ich regelmäßig Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Neben den von mir beschriebenen Produkten gibt es fast immer auch weitere von anderen Herstellern.
Es handelt sich in den Beschreibungen um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie grundsätzlich ärztlichen Rat oder den einer Heilpraktikerin / eines Heilpraktikers einholen.
Im Wechsel zu den Berichten aus der Praxis widme ich mich hier aber auch (unter dem Rubrum „News“) aktuellen Studien, die ich für erwähnenswert halte oder einen direkten Bezug zum Mikrobiom haben. Auch hier handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge