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Aufgrund der Ähnlichkeit der Symptome wird ein Gallensäureverlustsyndrom häufig fälschlich als Reizdarmsyndrom diagnostiziert. So auch bei einem meiner Patienten, der nun seine ganze Hoffnung auf eine Therapie setzt, deren Hauptaugenmerk der Darm-Leber-Achse gilt.
Ich habe mich an dieser Stelle schon öfter über das Reizdarmsyndrom ausgelassen, aber eigentlich kann ich gar nicht häufig genug darüber berichten! Zu stark sind die Patienten schließlich eingeschränkt, zu unbekannt die Therapie-Optionen. Als vor wenigen Tagen ein neuer (vermeintlicher) Reizdarm-Patient zu mir in die Praxis kam, habe ich das zum Anlass genommen, mal wieder über dieses Thema zu schreiben, in diesem Fall aber unter Berücksichtigung der Gallenblase, was ein anderes Bild des Reizdarmsyndroms zeigt!
Wenn Krämpfe zur Routine werden
Ole Siegfeld* (52), dank seiner Körpergröße eine imposante Erscheinung, hätte mir „in Vor-Corona-Zeiten“ beim Begrüßen vermutlich die Hand zerquetscht. Als er mir jedoch von seinem Leiden berichtete, wich das Strahlen aus seinem Gesicht: „Ich weiß gar nicht mehr, wie lange ich jetzt schon von Durchfällen geplagt bin“, begann er, „und immer sind sie von entsetzlichen Krämpfen begleitet. Wenn ich mal keinen Durchfall habe, sieht mein Stuhl aber auch nicht normal aus. Meistens glänzt er und ist irgendwie fettig.“
Wie so viele andere auch, sei er „von Arzt zu Arzt gerannt“ – nur um von den meisten mit der „Diagnose“ Reizdarm nach Hause geschickt zu werden. Eine Bekannte habe ihm dann geraten, eine/n Heilpraktiker/in aufzusuchen, um so vielleicht einen neuen Ansatz zu erhalten. „Als ich im Netz auf Ihren Artikel über Durchfall gestoßen bin, war für mich klar, an wen ich mich wenden würde.“
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Pommes sind leider nicht ideal
Eine meiner ersten Fragen bei der Anamnese gilt stets dem Essverhalten der Patient*innen. „So richtig habe ich bisher nicht auf meine Ernährung geachtet“, gestand Ole. „Mein Job als Maschinenbau-Ingenieur ist oft stressig, und weil’s schnell geht, hole ich mir dann meistens etwas aus der Kantine – z. B. Pommes. Ich weiß, das ist nicht optimal.“
Da gebe ich ihm recht. Bei Darmproblemen wie dem Reizdarmsyndrom hängt die Schwere der Symptomatik sehr häufig von der Art der Ernährung ab. Daher sollte man besonders bei einem Gallensäureverlustsyndrom auf seine Ernährung achten.
(Mehr dazu hier:)
Was mich in Oles Fall allerdings stutzig machte, war das abwechselnde Auftreten von Durchfällen und Fettstühlen. Das passt eher nicht zu einem klassischen Reizdarmsyndrom. Außerdem gab er auf Nachfrage an, dass der Durchfall ganz unabhängig von der Tages- oder Nachtzeit aufträte und seine Beschwerden besser würden, wenn er – aufgrund von Krämpfen oder Übelkeit – mal nichts gegessen hätte. Auch hätten ihm typische Mittel gegen Durchfall bisher keine Linderung gebracht. Ich vermutete daher eher ein Gallensäureverlustsyndrom.
„Wie kann man, bitteschön, Gallensäure verlieren?“
Mein Patient war zunächst ziemlich skeptisch, deshalb ging ich hier etwas tiefer darauf ein. Zugegeben, der Verlust von Gallensäure ist für den Laien nicht erkennbar, und wer macht sich schon Gedanken über seine Gallenflüssigkeit? Dabei hat sie eine enorm wichtige Funktion:
Die Gallensäuren sind Bestandteil der Gallenflüssigkeit. Diese wird in der Leber aus Cholesterin gebildet und in der Gallenblase zwischengespeichert. Die Galle und insbesondere die Gallensäuren sind grundlegend bei der Verdauung von Fetten und Eiweißen – erst sie ermöglichen bestimmten Enzymen, die Nahrungsbestandteile zu zersetzen.
Wenn nun fettreiche Nahrung konsumiert wird, spielen vor allem die Gallensäuren eine besondere Rolle. Diese werden bei Bedarf über die Gallengänge in den Zwölffingerdarm abgegeben und bewirken dort, dass das Enzym Lipase die Fette spalten kann.
Ole zeigte sich einigermaßen beeindruckt. Dabei hatte ich ihm die Rolle der Gallenflüssigkeit noch gar nicht erschöpfend beschrieben: Sie sorgt nämlich auch dafür, dass andere Stoffe wie z. B. Medikamente oder alte Zellbestandteile des Bluts (Bilirubin) in den Kot wandern, um so zuverlässig „entsorgt“ zu werden.
Das Besondere ist, dass die Gallenflüssigkeit wiederverwertet wird. Nachdem die Galle ihren Job erledigt hat, wird sie am Ende des Dünndarms zu 95% resorbiert und zurück zur Leber transportiert (diesen Vorgang bezeichnet man auch als enterohepatischen Kreislauf). Freilich beschreibt dies alles den Normalfall.
Was, wenn dieser Kreislauf ins Stocken gerät?
Wenn Gallensäure in einen Abschnitt des Darms gelangt, wo sie gar nicht hingehört, z. B. im Dickdarm, kann die Galle nicht mehr resorbiert werden, sondern wird vermehrt ausgeschieden (dies geschieht mit ca. 0,5g jeden Tag auf natürliche Weise). Wird allerdings eine größere Menge ausgeschieden, kommt die Verdauung nicht mehr hinterher: Fette und Eiweiße können nicht entsprechend abgebaut werden, das Bild des Fettstuhls (Steatorrhoe) entsteht.
Was mich jedoch zu meiner anfänglichen Vermutung gebracht hatte, es könnte sich bei Ole um ein Gallensäureverlustsyndrom handeln, waren die tageszeitunabhängigen Durchfälle, auch chologene Diarrhoe genannt. Auslöser dafür kann nämlich Galle sein, die sich im Dickdarm sammelt, wo sie nicht hingehört. Eine erhöhte Menge an Gallensäure im Dickdarm bewirkt, dass dort mehr Flüssigkeit benötigt und somit der Dickdarm zu mehr Bewegung angeregt wird, was eben jene Durchfälle hervorrufen kann.
Als ob das noch nicht genug wäre, steigt durch den „Verlust“ der Gallensäure auch das Risiko der Gallensteinbildung, die alles andere als angenehm sind. Vor allem aber bewirkt ein längerfristiger Gallensäuremangel im Dünndarm, dass neben Fetten auch Vitamine nicht mehr so gut resorbiert werden können – ein eklatanter Vitaminmangel, der vor allem die fettlöslichen Vitamine A, D, E, und K betrifft, ist dann unausweichlich!
Wie ein Gallensäureverlustsyndrom entsteht
Der häufigste Grund ist eine Einschränkung im letzten Abschnitt des Dünndarms (Ileum). Das ist jener Bereich, der z. B. bei Morbus Crohn oft von Entzündungen betroffen ist und deshalb teilweise reseziert werden muss … was die Resorption der Gallenflüssigkeit natürlich deutlich erschwert.
Weitere mögliche Entstehungsursachen:
-Operative Entfernung der Gallenblase
-Bauchspeicheldrüsenentzündung
-Dünndarmfehlbesiedelung
-Zöliakie
-Diabetes
Studien haben ergeben, dass rund ein Drittel der Reizdarmpatienten, die primär unter Durchfall leiden, ein „idiopathisches Gallensäureverlustsyndrom“ aufweisen – also ohne erkennbare Ursache. Bei Reizdarm-Patient*innen, deren Symptome denen eines Gallensäureverlustsyndroms ähneln, würde es sich also lohnen, der Sache genauer auf den Grund zu gehen.
Das empfahl ich auch Ole. Dieser war sichtlich irritiert, womöglich unter einer Krankheit zu leiden, von der er in seinem ganzen Leben noch nie etwas gehört hatte. Tatsächlich ist das Gallensäureverlustsyndrom deutlich „unterdiagnostiziert“.
Von Fetten verabschieden – so ernähren Sie sich bei einem Gallensäureverlustsyndrom richtig.
Während Reizdarm-Patient*innen in ihrer Ernährung eher auf das Weglassen sogenannter „FODMAPS“ (bestimmter Kohlenhydratverbindungen) achten sollten, ist bei einem Gallensäureverlustsyndrom eine fettarme Ernährung angesagt. Für Ole hieß das auch „Pommes ade“. Seinen Gesichtsausdruck muss ich hier wohl nicht beschreiben …
Zusätzlich zur fettarmen Ernährung riet ich Ole zur Einnahme von mittelkettigen Fettsäuren (MCT-Fette), weil diese deutlich leichter resorbiert werden können. Komplett auf Fett zu verzichten wäre kein guter Hebel, denn damit fiele ein wichtiger Energielieferant weg. Außerdem sind manche Vitamine auf Fett angewiesen, um vom Darm aufgenommen werden zu können! (Kokosöl enthält z. B. MCT-Fette, aber es gibt auch reines MCT-Öl zu kaufen.)
Im Gegensatz zu den langkettigen LCT-Fetten, die in anderen üblichen Pflanzenölen sowie Butter und Margarine enthalten sind, benötigen MCT-Fette einen viel geringeren Verdauungsaufwand, lagern sich nicht im Fettgewebe ab und werden vom Körper schnell in Energie umgewandelt. Dies ist dringend bei einer Gallensäureverlustsyndrom Ernährung besonders zu beherzigen. Das ist durchaus spürbar! Oles finstere Miene hellte sich jetzt auf. Energie konnte er gut gebrauchen.
MCT-Öl ist überdies geschmacksneutral und sehr zu empfehlen als Speiseöl in der kalten Küche – für Salate, Shakes oder Smoothies. Nur bitte MCT-Öl nicht zum Braten und Backen verwenden – die wertvollen Fettsäuren sind leider nicht hitzebeständig.
Ballaststoffe binden Gallensäuren
Ole wird sich also – wohl oder übel – von seinem Kantinenessen verabschieden müssen. Als zusätzliche Ernährungsumstelltung gegen das Gallensäureverlustsyndrom empfahl ich ihm außerdem, mehr Ballaststoffe – z. B. Vollkornprodukte oder faserreiches Obst und Gemüse – zu sich zu nehmen. Ballaststoffe binden Gallensäuren. In dieser Verbindung verursachen die Gallensäuren in unteren Darmabschnitten weniger Symptome!
Und es gibt noch einen weiteren Effekt: Wenn nämlich die Leber wieder mehr Gallensäure produzieren muss und dafür körpereigenes Cholesterin nutzen kann, bringt diese Ernährungsumstellung einige gesundheitliche Vorteile mit sich: Unter anderem lässt sich so eine Arteriosklerose (Blutgefäßverengung) vermeiden, d. h. das Herzinfarkt- oder Schlaganfallrisiko würde abnehmen.
Ein veränderter Gallensäuren-Metabolismus scheint aber nicht nur Auswirkungen auf die Prozesse im Darm zu haben, sondern auf den gesamten Organismus. Selbst im Gehirn konnten unterschiedliche Gallensäure-Typen gefunden werden. Man geht heute davon aus, dass Veränderungen im Gallensäuren-Metabolismus auch zur Entwicklung von neurologischen Erkrankungen (M. Alzheimer, M. Parkinson, Schizophrenie, Multiple Sklerose) beitragen können.
Die beste Vorsorge und Therapie bietet immer noch ein gesundes Mikrobiom, denn: Einige der dort ansässigen Darmbakterien verstoffwechseln die Gallensäuren, was zur Bildung von Karzinogenen führen kann. Die Darmschleimhaut wird gereizt und entzündet sich. Außerdem hängen Darm und Leber über den sogenannten Pfortaderkreislauf eng zusammen (damit bezeichnet man den venösen Blutkreislauf von Magen, Darm, Milz und Bauchspeicheldrüse).
Da die Leber bei einem Gallensäureverlustsyndrom mit der ständigen Neuproduktion von Gallenflüssigkeit Höchstarbeit leisten muss, gleichzeitig aber auch unser wichtigstes Entgiftungs- und Stoffwechselorgan ist, gilt es diese zu schützen und zu unterstützen.
Mein Therapieplan für Ole
Selbstverständlich verspricht auch die probiotische Medizin bei Oles Krankheit Erfolg! Das probiotische Mittel, das ich ihm empfahl, heißt OMNi-BiOTiC® HETOX. Der Name setzt sich zusammen aus Hepar (Leber) und Detox (Entgiftung). Die 15 Milliarden Keime in einem Sachet erfüllen mehrere für Ole wichtige Aufgaben: Zunächst halten sie die Darmbarriere aufrecht, so dass toxische Stoffe nicht bis in die Leber oder sogar in das Gehirn vordringen können. (Über die Darm-Hirn-Achse habe ich mich hier schon ausgelassen:)
Auf diese Weise wird nicht nur die Leber, sondern auch das Gehirn geschützt. Außerdem sorgen die Bakterien dafür, dass sich keine Dysbiose ausbilden kann, der Darm also nicht fehlbesiedelt wird. Zum einen kann sich die Darmschleimhaut dann nicht so schnell entzünden, zum anderen wird der Entstehung des „Leaky Gut Syndroms“ vorgebeugt. Den „löchrigen Darm“ habe ich hier bereits thematisiert:
Die hohe Anzahl und die spezielle Zusammensetzung physiologischer, freundlicher Bakterien in OMNi-BiOTiC® HETOX sorgen dafür, dass sich jene Bakterien, die Gallensäuren verstoffwechseln und so zu einem Krebsgeschehen beitragen könnten, nicht vermehren und ungehemmt ihr Unwesen treiben können. Dadurch wird auch die Darmschleimhaut vor Veränderungen und Entzündungen geschützt.
Leider keine vorübergehende Maßnahme
Ole war jetzt ziemlich „von den Socken“, hatte er doch kaum zu hoffen gewagt, dass sich seine Krankheit behandeln ließe. Ich wies ihn allerdings darauf hin, dass er sehr lange, wenn nicht sogar sein Leben lang, Multispezies-Probiotika einnehmen müsse, denn: Ein Gallensäureverlustsyndrom gilt als nicht heilbar, auch wenn sich die Symptome durchaus effektvoll behandeln lassen!
Zu meinem Erstaunen konnte das seine gute Laune nicht verderben. Finsterer wurde seine Miene erst wieder, als ich ihm bedeutete, dass auch die Ernährungsumstellung keine vorübergehende Sache sei. Zum Trost erwähnte ich den „Bulletproof-Coffee“ – ein sehr „trendiges“ Getränk, basierend auf einem „guten“ Kaffee oder Espresso, gemischt mit MCT-Öl. Der Klassiker sieht sogar noch einen Esslöffel Butter vor, das kommt aber für Ole nicht in Frage.
Der Kaffee (es sollte schon eine hochwertige Sorte sein) wird zusammen mit einem Esslöffel MCT-Öl in einen Mixer gegeben. Das cremige Getränk schmeckt heiß oder kalt super und gibt einen Energie-Kick für ein paar Stunden. Ole erhält auf diese Weise auch die für ihn wichtigen Fette! Diese kurzkettigen Fettsäuren werden direkt über die Pfortader zur Leber transportiert, unabhängig von Gallensäuren.
Für seine tägliche Ballaststoff-Zufuhr empfahl ich ihm zusätzlich OMNi-LOGiC® FIBRE ein patentiertes, fertiges Ballaststoff-Gemisch, das sowohl einen dünnen als auch einen zu festen Stuhl zu regulieren vermag. Ideal für Ole!
Auch die Bakterien wollen gefüttert werden!
Zur weiteren Unterstützung seiner Leber habe ich ihm noch metacare® Leber empfohlen wegen seiner wertvollen Bitterstoffe, Silymarin, Traubenkernextrakte und des echten, japanischen Wasabi. Wasabi wird im asiatischen Kulturkreis als bewährtes Hausmittel bei Verdauungsbeschwerden und angeschlagenem Immunsystem geschätzt.
Um seine wichtigen Fett-Vitamine A, D, K, E nicht auch zu verlieren, riet ich Ole, diese als Kapseln regelmäßig einzunehmen, zum Beispiel Vitamin D3 und K2 von Pharma Nord und die Vitamine A und E von Hevert.
Ole und ich werden uns künftig wohl häufiger in der Praxis sehen, um den Verlauf seiner Erkrankung und den Erfolg der Therapie zu kontrollieren. Er freut sich darauf, und ich bin gespannt, ob er die tiefgreifende Veränderung seines Lebensstils durchhält. Ich habe allerdings ein gutes Gefühl …
Bleiben auch Sie guter Dinge und kommen Sie gut ins Wochenende!
Herzlich
Ihre
Dagmar Praßler
* Alle Namen geändert
** https://cara.care/de/erkrankungen/oberbauch/gallensaeureverlustsyndrom
In meinen Blogs beschreibe ich Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Es handelt sich um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie einen Arzt oder Heilpraktiker aufsuchen. Bei meinen Blogs handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge. Neben den beschriebenen Produkten gibt es noch weitere von anderen Herstellern.
Ich bin durch Zufall auf diesen Beitrag gestoßen. Ich habe nach der Entfernung meiner Gallenblase seit Jahren ein Gallensäureverlustsydrom. Und habe schon oft gesagt das ich mir wenn es möglich wäre sofort wieder eine Gallenblase einbauen lassen würde. Ich nehme jetzt schon seit Jahren Cholestyramin gegen den Durchfall. Das ist das einzige was hilft. Ich habe davor schon alles mögliche probiert.
In ihrem Beitrag gibt es allerdings viele Interessante und neue Informationen für mich. Ich werde mir jetzt mal neues Öl und Vitamine holen.
Liebe Grüße
Katharina