Titelbild: © FooTToo /shutterstock
Kein Organ des Menschen wird derzeit so ausgiebig erforscht wie der Darm und seine Bewohner, die unser Darm-Mikrobiom ausmachen. Die Forschung hat in den letzten Jahren viele neue Erkenntnisse gewonnen, und die Anzahl der Veröffentlichungen dazu steigt rasant.
Dabei geht dieses „Superorgan“ Mikrobiom weit über den Darm hinaus: Es nistet in und an unserem gesamten Körper, beeinflusst alle körperlichen Aktionen und Reaktionen und steht seit Jahren im Zentrum der medizinischen Wissenschaft. Auch anders herum betrachtet wird die Wechselwirkung zwischen Krankheit/ Gesundheit und Mikrobiom deutlich: Krankheiten, Medikamente und alle Einflüsse von außen verändern unser Mikrobiom! Alles, was den Darm erreicht, ob über die Nahrung, das Blut, die Lymphe, die Lunge oder die Haut, hat Einfluss auf die Bakterien des Mikrobioms, ihr Zusammenspiel und schließlich auf die Gesundheit des Menschen.
Was uns das Artensterben in unserer Umwelt angeht
Seit langem wird ein beschleunigtes Artensterben in der Natur beobachtet. Viele Menschen tun dies mit einem Achselzucken ab, weil ihnen nicht klar ist, dass dieser Prozess auch ein Artensterben in unserem Mikrobiom zur Folge hat. Zusätzlich bewirken einseitige Ernährung oder häufige Antibiotikagaben, dass die Mikrobiom-Diversität nachhaltig reduziert wird. Eine geringe Diversität ist aber leider der Beginn allen Übels, sprich: unserer häufigsten Zivilisations-Krankheiten.
Diese bahnbrechenden Erkenntnisse über Rolle und Bedeutung des Mikrobioms verdanken wir neuen Methoden der Stuhluntersuchung. So galt die „Flora-Untersuchung“ lange als Goldstandard: Durch das Extrahieren und Anzüchten einzelner Keime ließen sich aber nur grobe Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Mikrobioms ziehen. Man sah quasi nur die Spitze des Eisberges. Heute lassen sich anhand von Gensequenzierungen die wichtigsten Bakterien-Gruppen untersuchen, die in ihrem Zusammenwirken einen Einfluss auf den menschlichen Organismus haben.
Dabei wäre es allerdings eine zu einfache Sichtweise, einzelne „Markerkeime“ mit einem Risiko für bestimmte Erkrankungen zu assoziieren. Die Natur des Mikrobioms und „seines Menschen“ ist deutlich komplexer. Man greift daher heute lieber zu einer quantitativen Analyse sogenannter „funktioneller Gruppen“ wie etwa Butyratbildnern, mucinabbauenden Bakterien, Milchsäurebildnern, Sulfatreduzierern usw. Eine quantitative Bestimmung dieser Gruppen im individuellen Mikrobiom gibt Aufschluss über den Zustand des Darms. Dabei treten nicht nur Mängel oder das Risiko erwartbarer Schleimhautschädigungen offen zutage. Auch ausgleichende Schutzmöglichkeiten werden durch Stuhluntersuchungen offenbart.
Symbiotische Verbindung zwischen Mensch und Bakterium
Bekannt ist, dass zwischen dem Menschen und seinen Darmbakterien (der Mikrobiota) eine symbiotische Verbindung besteht. Im Darm finden wir die größte Gemeinschaft innerhalb unseres Körpers, die mehr als 1.000 Arten umfasst und die unterschiedlichsten, lebenswichtigen Prozesse kontrolliert.
Die Zusammenhänge zwischen klinischen Krankheitsbildern und Änderungen in der Zusammensetzung des Mikrobioms – der sogenannten Dysbiose – konnten in zahlreichen anerkannten Studien nachgewiesen werden. Ob es um den Stoffwechsel geht mit seinen Auswirkungen auf die Entstehung von Diabetes und Übergewicht, um neurologische oder psychische Erkrankungen oder unser Immunsystem. Selbst den Zusammenhängen zwischen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen und der Entstehung von Krebs konnte man durch Stuhluntersuchungen des Mikrobioms auf die Spur kommen. Mit welchem Grad an Komplexität die Wissenschaftler dabei konfrontiert sind, zeigt diese Einlassung:
„Wir haben es mit einem Forschungsgegenstand zu tun, der äußerst vielgestaltig, flexibel und beeinflussbar ist, intern vielschichtige Wechselwirkungen zeigt und auch mit seinem Wirt und dessen Umwelt in komplexen Beziehungen steht. Vieles ist heute schon so weit gesichert, dass es eine gute Diagnostik und anschließend eine zielgerichtete und erfolgreiche Therapie ermöglicht.“
Prof. Dr. med. Burkhard Schütz, biovis’ Diagnostik MVZ
Darmbakterien – unermüdlich im Einsatz für unsere Gesundheit
Es ist schon beeindruckend, wozu Darmbakterien in der Lage sind: Sie können z. B. Gallensäuren spalten und Vitamine oder antimikrobielle Substanzen selbsttätig synthetisieren! Von letzteren weiß man, dass sie das Wachstum krankmachender Keime unterbinden können. Daneben haben Darmbakterien noch eine andere wichtige Aufgabe: Sie unterstützen das Mikrobiom unserer Darmschleimhaut, indem sie Energieträger bereitstellen bzw. Stoffe freisetzen, die unser Immunsystem unterstützen.
Wie sich die Darm-Mikrobiota verändert, untersucht die moderne Stuhldiagnostik anhand ausreichend erforschter Bakterien, deren nützliche oder krankmachende Eigenschaften bekannt sind. Dabei handelt es sich beispielsweise um E. coli, Enterococcus, Bifidobakterium- und Lactobacillus-Spezies, die einen wichtigen Teil der Darmmikrobiota ausmachen und sich zuverlässig reproduzieren lassen.
Für viele „Anaerobier“ (Lebewesen, die nur in sauerstofffreien Lebensräumen wachsen) gilt dies allerdings nicht. Diese Mikroorganismen lassen sich nur durch spezielle Verfahren wie etwa die bereits zitierte molekulargenetische Sequenzierung bei Stuhluntersuchungen beurteilen. Da diese Bakterien jedoch einen Großteil des Mikrobioms ausmachen, ist es umso wichtiger, auch gerade die Anaerobier zu untersuchen.
Die Vielfalt der Bakterienstämme ist ebenso enorm wie die Unterschiedlichkeit ihrer jeweiligen Aufgabe, die in ihrem bakteriellen Genom (der Summe ihrer Gene) kodiert ist. Noch verblüffender ist die Tatsache, dass die DNA der Darmbakterien, also ihre Erbinformation, die des Menschen um das 150-fache übersteigt! Genau an dieser vielfältigen Information setzt die moderne Stuhldiagnostik an.
Was die Stuhluntersuchung alles offenbart
Ergänzend zu den etablierten Anzuchtmethoden kommen sogenannte qPCR-basierte Verfahren (quantitative Polymerase-Kettenreaktion) zur Anwendung. Damit lässt sich nicht nur die gewonnene DNA der Bakterien quantifizieren, sondern auch die Anzahl an bestimmten Bakterien ermitteln. Mit den Methoden der klassischen Diagnostik können ca. 30-40 % der Darmbakterien identifiziert werden.
Die Methoden der Molekulargenetik nehmen nicht die Gene des Patienten, sondern die seiner Darmbewohner unter die Lupe. So lässt sich das Mikrobiom eindeutig identifizieren und analysieren. Mit der Stuhlanalyse kann man also viele wertvolle Informationen gewinnen – über die Verdauungsleistung, den Zustand der Darmschleimhaut oder auch des Darmimmunsystems.
Aus der Gesamtheit dieser Daten lassen sich Ursachen von Beschwerden ablesen bzw. ausschließen und – hier wird’s für Therapeuten interessant – gezielte Therapievorschläge ableiten. Damit wird auch klar, warum moderne, gut erforschte Multispezies-Probiotika eine ganz andere kausale Wirkung haben als Mono-Präparate – eben weil verschiedene Leitkeimstämme hier zusammenwirken.
Welcher Darmtyp sind Sie?
Eine wichtige Erkenntnis zum humanen intestinalen Mikrobiom schien 2011 die Entdeckung der Enterotypen beim Menschen zu sein. Die drei Enterotypen, die inzwischen wiederholt bestätigt wurden, heißen nach den Gattungen, die am häufigsten im individuellen Mikrobiom auftreten: Bacteroides-Typ, Prevotella-Typ und der seltene Ruminococcus-Typ. Je nachdem, welche Bakterienarten im Körper vorherrschen, gewinnt der Körper am besten seine Energie aus tierischen Eiweißen, gesättigten Fettsäuren, komplexen Kohlehydraten oder aus Zucker-Proteinkomplexen aus der Darmschleimhaut.
Vorhang auf für Probiotika
Parallel zu den Entwicklungen in der Labordiagnostik ließ sich gerade in jüngster Zeit ein rasanter Fortschritt auf dem Gebiet medizinisch relevanter Probiotika beobachten. Beides baut aufeinander auf, denn während die Stuhluntersuchung ein Missverhältnis unterschiedlicher Bakterienstämme aufzeigen kann, lässt sich dies durch die Gabe ausgewählter Bakterienkombinationen gezielt wieder ausgleichen! Eine echte „Win-win-Situation“ also.
Der Mär, dass Krankheiten, die im Darm entstehen, sich auch nur in der Körpermitte auswirken, konnte erst die moderne Labormedizin Einhalt gebieten. Nach über zwei Jahrtausenden wurden somit der Vermutung eines Hippokrates, wonach der Darm „Vater aller Trübsal“ sei, endlich die verdienten wissenschaftlichen Weihen verliehen.
Späte Genugtuung für Hippokrates
Heute ist belegt, dass Bakterien wie Faecalibacterium prausnitzii durch die Fermentation von Kohlenhydraten im Dickdarm unter anderem kurzkettige Fettsäuren wie Butyrat bilden können – die wichtigste Energiequelle für Colonozyten (Zellen des Dickdarms). Hinzu kommt ihre entzündungshemmende Wirkung und die Tatsache, dass sie vor Zellalterung schützen und unentbehrlich sind für unsere Mikroglia im Gehirn. Das sind die Immunzellen, die uns beispielsweise vor Morbus Alzheimer schützen.
Ein Spotlight wirft die Mikrobiomanalyse auch auf obligat anaerobe Clostridien, die häufig im Intestinaltrakt des Menschen zu finden sind und als Auslöser verschiedener Darminfektionen gelten. Zu dieser Gattung zählen aber nicht nur Krankheitserreger, sondern auch nützliche Keime, die unser Immunsystem positiv beeinflussen und zum Anstieg von IL-10 führen, einem körpereigenen Entzündungshemmer.
Zu den bahnbrechendsten Erkenntnissen dieses Medizinzweigs gehört, dass das gehäufte Aufkommen sogenannter Cluster-I-Clostridien mit ihren toxinbildenden Arten auf Erkrankungen des autistischen Formenkreises hinweisen. Dieser Zusammenhang ließ sich auch bei Menschen mit neurodegenerativen Beschwerden wie Demenz oder Morbus Alzheimer nachweisen!
Zu guter Letzt wissen wir jetzt auch, dass sulfatreduzierende Bakterien über die Bildung von Schwefelwasserstoff (H2S) an der Entstehung von Darmerkrankungen beteiligt sind, denn Schwefelwasserstoff schädigt als giftiges Stoffwechselprodukt die Darmepithelzellen und begünstigt so das Auftreten von atypischen, nicht „normgerechten“ Zellen.
Intestinum sanum in corpore sano
Ein gesunder Darm in einem gesunden Körper
Dass die Gesundheit des Menschen von einem gesunden Darm – quasi der Wiege unseres Mikrobioms – abhängt, gilt längst als gesichert. Bekanntlich schützt dort eine Schicht aus Schleim, die sogenannte Muzinschicht, die darunterliegenden Epithelzellen. Ist diese beschädigt oder wird nicht ausreichend Schleim gebildet, können Krankheitserreger, Schadstoffe oder Allergene in direkten Kontakt mit der Darmschleimhaut gelangen und zu Entzündungen führen. Es geht also darum, die Schleimhautbarriere intakt zu halten, damit sie die Ansiedelung krankheitserregender Keime verhindern und so vor Entzündungen schützen kann.
Eine tragende Rolle bei der laufenden Erneuerung dieser Schleimschicht kommt dem Bakterium Akkermansia muciniphila zu. Dieses baut zunächst Schleim ab, um anschließend sofort die Becherzellen zur Produktion von besonders viskösem, also zähem und undurchdringlichem Schleim anzuregen. Dieser Vorgang bildet die Basis für die Produktion von Butyrat, einer der kurzkettigen Fettsäuren und der wichtigsten Energiequelle für den Darm.
Das Verständnis dieser Zusammenhänge wächst mit jeder durchgeführten Analyse, die allerdings nur von renommierten, hochspezialisierten Instituten durchgeführt werden sollte.
Individuelle Behandlungskonzepte
So vielfältig wie unser Mikrobiom ist die indikationsbezogene Therapie mithilfe Stuhluntersuchungen mit dem Ziel, die „Gesundheit aus dem Reich der Mitte“ wiederherzustellen. Schließlich ist der Darm nicht nur „Vater aller Trübsal“, sondern im Idealfall auch die „Mutter der Gesundheit“! Aus meiner eigenen, langjährigen Praxiserfahrung empfehle ich daher Multispezies-Probiotika wie zum Beispiel OMNi-BiOTiC® mit einer eindeutigen Studienlage.
Bleiben Sie gesund … und vertrauen Sie auf das Potenzial einer gründlichen Mikrobiomanalyse zur langfristigen Gesundung!
Es grüßt Sie
Ihre Dagmar Praßler
In meinen Blogs beschreibe ich Erfahrungen aus meiner Praxis, insbesondere den Verlauf einiger konkreter Behandlungen. Ich weise darauf hin, dass die beschriebenen Verläufe Einzelfälle sind und keine allgemein verbindlichen Rückschlüsse daraus gezogen werden können. Andere Menschen können anders reagieren, auch wenn sie die gleiche Behandlung erfahren. Es handelt sich um meine subjektiven Wahrnehmungen, ein Heilversprechen ist darin nicht zu sehen. Bei Beschwerden sollten Sie einen Arzt oder Heilpraktiker aufsuchen. Bei meinen Blogs handelt es sich ausschließlich um redaktionelle Beiträge. Neben den beschriebenen Produkten gibt es noch weitere von anderen Herstellern.